Wusstest du schon, dass eine Visualisierung kein Bilderrätsel ist?
Wenn du mit dem Visualisieren am Flipchart live, oder dem Erstellen eines visuellen Protokolls Bauchschmerzen hast, weil du glaubst, dass du nicht gut genug zeichnen kannst, dann solltest du weiterlesen.
Auch nach einem Visualisierungstraining kommt immer mal der eine oder andere auf mich zu, und formuliert seine Bedenken.
„Ich habe viel gelernt, aber weiß bestimmt noch nicht genug, um das gleich perfekt umzusetzen.“
„Ich habe Angst, dass mir das falsche Bild einfällt.“
„Ich bin noch zu langsam, um live vor den Teilnehmern zu visualisieren.“
Je öfter du das ausprobierst, desto sicherer und schneller wirst du. Damit werden auch deine Visualisierungen klarer, sicherer, denn dein Strich wird sicherer, ohne Wellen und Hubbel. Das falsche Bild? Man kann doch über alles reden, du bist doch mit im Raum. Prima, dann haben die Teilnehmer vielleicht ein anderes, passenderes Bild im Kopf. Das merkst du dir gleich für das nächste Mal.
Das sind alles Ängste, die ich nur zu gut kenne. Dennoch versuche ich sie auszuräumen, aber es ist nicht leicht.
Du wirst lachen, aber manchmal denke ich das auch, wenn ich z.B. in einem Meeting mit Kollegen spontan dazu verpflichtet werde, das Graphic Recording zu übernehmen.
Ich ergänze meine Bedenken allerdings immer noch um eine besonders dämliche Frage, die mich wirklich endgültig verunsichert:
„Bin ich gut genug? Können die anderen das wirklich hinterher nachvollziehen?“
Super sabotiert, der Blutdruck steigt, und die hektischen Flecken an meinem Hals kämpfen um die Logenplätze oberhalb des Kragens. Mir wird heiß und kalt, während ich mich auf den Weg zum Schafott…äh…Flipchart mache. Krass, oder?
Dabei scribble ich doch hier so viel herum. Es gibt den FlipchartFriday, und in meinem Visualisierungstraining erhält jeder auf seine Fragen nach einem Motiv eine kompetente Antwort.
Warum zum Henker mache ich mir in die Hose?
Kennst du das? Es ist neu, es ist unsicher. Diese Situation hast du mit den anwesenden Teilnehmern noch nicht gehabt. Du weißt nicht, was sie sagen werden, du hast diese Situation noch nicht durchlebt. Wenn es nicht so abgedroschen wäre, dann würde ich jetzt sagen, dass du auf der Flucht bist, doch die Säbelzahntiger sitzen alle schon vor dir.
[Tweet „#Visualisieren ist wie Improtheater, mit der Zeit kann man ganz entspannt scheitern. Na und?“]
Bei dir sind es Teilnehmer, die vielleicht mehr können, denkst du, oder es sind besonders kritische Menschen?
Werden sie erkennen, was du mit den Bildern sagen willst? Werden dir die richtigen Bilder einfallen?
Jetzt kommt die Überraschung! Tadaa! Deine Visualisierung muss kein Bilderrätsel werden, d.h. sie muss nicht nur aus Bildern bestehen.
Sie ist kein Kunstwerk, das hinterher von Kunstexperten interpretiert wird.
Ganz im Gegenteil, sie sollte unbedingt Text enthalten. Unbedingt! Auch wenn du den Sachverhalt zu den Bildern erklärst, wenn die Teilnehmer nur das Bilderprotokoll abfotografieren, dann ist die Erinnerung unvollständig.
Nur allein mit Bildern etwas zu erklären, das kann ganz schön in die Hose gehen. Du brauchst den Text, z.B. um wichtige Kernbotschaften zu erfassen. Auch ein sehr professioneller Graphic Recorder kommt nicht ohne Text aus. Ganz im Gegenteil. Hier und da ein knackiger Satz, oder ein kleiner Absatz, der die Botschaft transportiert ist ein MUSS. Eingängiger wird der Satz dann, wenn du ihn mit ein paar kleinen Bildern auflockerst. Hier fließt dein Stil mit hinein.
Denke immer daran: Es ist kein Kunstwerk, es ist ein Protokoll.
Bei mir legt sich die Aufregung übrigens, wenn ich am Flipchart angekommen bin, den Marker geöffnet, und ich den ersten Satz geschrieben habe. Das kann ein erster Impuls sein, den ich aus dem Raum aufgenommen habe, oder es ist einfach nur die Überschrift, die ich aufs Chart schreibe, während sich der Blutdruck wieder auf seinen normalen Höchststand zurückfährt, aber die hektischen Flecken bleiben natürlich — sogar über die nächste Pause hinweg. Bah!
Noch etwas…
Es darf auch mal etwas daneben gehen. Klar kannst du das (fast heimlich) korrigieren, aber du kannst es auch mit Humor nehmen. So wie bei mir hier im Visualisierungstraining, als ich die Glühlampe noch eben schnell mit Augen anhübschen wollte. Megafail! Riesenlacher! Na, und?
Danke an @sandra_dirks – hier mit „Totenkopf, wiedergeboren in einer Glühbirne“ – für den tollen Input! pic.twitter.com/aaHZtGCEyN
— Sabine Dinkel (@sabinedinkel) 11. Dezember 2014
Danke @Sabine Dinkel für diesen Schnappschuss. Es ist alles live!
Was kannst du tun, damit du sicherer wirst?
Mögliche Ausgangssituationen:
1. Du möchtest etwas live aufs Flipchart bringen, das du bereits auf einem kleinen Zettel vorbereitet hast.
2. Du möchtest live ein Gespräch, eine Diskussion mitscribbeln, ein Brainstorming, einen Prozessablauf dokumentieren.
3. Du schaust dir ein paar meiner Lieblingsliteraturtipps dazu an, und sammelst ein paar Bilder in deinem visuellen Vokabelheft.
Zu 1.:
Gönne dir Hilfsmittel!
Wenn du dein Thema bereits kennst, aber gerne live mit deinen Teilnehmern am Chart arbeitest, dann hast du sicher ein genaues Konzept, was du aufs Chart bringen möchtest. Je präziser du das ausgearbeitet hast, desto sicherer bist du inhaltlich. Du bist der Profi.
Das Schaubild, das du gleich aufs Chart bringen wirst, das ist der Knaller, weil es den Teilnehmern einen schwierigen Sachverhalt präzise auf den Punkt bringt. Bäm! Wenn nicht, dann solltest du dafür sorgen, dass es das macht.
Also inhaltlich bist du sicher. Du hast die richtigen Stichworte, die du mit ein paar kleinen Icons veranschaulichst. Check!
Jetzt muss das Kleine auf das Große! Oha, die Proportionen!
WIE groß darf WAS sein, damit du dieses Chart nicht versaust?
Manchmal gerät die Überschrift zu groß, dann musst du die fachlichen Inhalte quetschen. Das ist weniger praktisch. Wie groß darf die Überschrift sein? Wie breit sind deine Buchstaben? Was muss mindestens aufs Chart, damit der Inhalt nachvollziehbar ist?
Pssst! Arbeite hier mit dem gemeinen Bleistifttrick markiere dir vor der Veranstaltung mit einem Bleistift (HB) an WELCHER Stelle du WAS aufs Chart bringen möchtest. Markiere dir die Positionen auf einem vorher präparierten Chart mit sehr dünnen Linien, die du, wenn nötig, später entfernen kannst.
So kannst du dir schon in etwa vorher ausmessen, wie viel Platz du benötigst. Das bedeutet, dass du entweder deine Schriftgröße anpassen, oder den Text kürzen musst.
Nimm zum Ende des Tages dieses Chart mit nach Hause. Arbeite damit.
Was willst du beim nächsten Mal anders machen, wenn du dein Thema vermittelst?
Was hat gut funktioniert?
Wie groß muss deine Schrift mindestens sein, um lesbar zu sein?
Bei welchen Wörtern passt welches kleine Bild?
Nach meiner Erfahrung hat man nämlich die besten Ideen, wenn die Veranstaltung vorbei ist. Aber wenn es dein Fachthema ist, dann kommt es wieder, und du kannst dich bestens darauf vorbereiten.
Du wirst sehen, dass du damit immer sicherer wirst. Dir fallen immer mehr Bilder für dein Thema ein, so dass du zukünftig sicherer und automatisch schneller wirst. Ideen für deine Bildersuche findest du hier.
Nochmal zur Erinnerung
Vergiss Perfektionismus! Das fällt schwer, aber wir müssen realistisch bleiben. Wenn wir durch eine Veranstaltung führen, dann ist ein Chart kein Kunstwerk, sondern eine Arbeitsunterlage. Da kann es schon vorkommen, dass ein schnell gemachtes Flipchart auch aussieht wie schnell gemacht.
Achte hier in erster Linie auf die Lesbarkeit, dann hast du schon ganz viel gewonnen. Nimm dir die Zeit für Lesbarkeit. Nicht Handlettering, nicht Kalligrafie, nicht Schönschrift, nur LESBARKEIT.
Farbe und Kreide solltest du später ergänzen. Bringe das Gerüst aufs Papier und bringe hinterher die Farbe hinein. Das wirkt viel stärker, weil du dann zu deinen Farben oder Farbcodes auch noch etwas sagen kannst, wenn du das Thema noch einmal kurz zusammenfasst.
Farbcode kann z.B. sein: Alle Fragen sind rot, alle Antworten sind blau gekennzeichnet.
Beispiel Arbeitsgesetze: Alle Pflichten sind rot, alle Rechte sind blau gekennzeichnet.
Zu 2.:
Du scribbelst live mit.
Dies sind keine Hinweise für den Profi Graphic Recorder, es ist eine kurze Anleitung, die dir die Angst vor dieser Situation nehmen soll. In den Büchern von Mike Rhode zum Thema „Sketchnotes“ findest du ein paar Layoutideen, die du auch für dich verwenden kannst.
Im Buch von Heather Willams und Nora Herting findest du ein paar frische Flipchartideen für dein Layout, d.h. deine Bildaufteilung.
Hier sind 5 Mutmachtipps fürs Visualisieren:
Tipp 1:
Wer zwingt dich, das ganze Thema auf nur einem Chart festzuhalten, wenn du mit dem vorhandenen Platz nicht auskommst? Warum nimmst du kein 2. Chart, dann passt das auch wieder mit deiner Schriftgröße und der Lesbarkeit.
Du visualisierst jetzt hier, mach es dir passend. Wenn es nur ein halbes Chart ist, dann ist es o.k., wenn es fünf Charts sind, dann ist das auch o.k.
Schließlich geht es darum das wertvollste Gut in diesem Raum festzuhalten: Die Worte, die Ergebnisse deiner Teilnehmer. Gib dir die Erlaubnis für den Platz, den du brauchst.
Tipp 2:
Schreibe die Kernbotschaften mit. Schreibe z.B. einen Satz komplett mit. Schreibe ihn in deinen Worten auf. Wenn du etwas nicht genau verstanden hast, dann frage noch einmal nach. Du kannst auch frech in die Runde fragen, ob es vielleicht auch kürzer geht, wenn der Extra-lange-Sätze-Spezialist seinen Monolog beendet hat. Jeder wird dafür Verständnis haben. Das braucht eben die Zeit, die es braucht.
Natürlich kannst du hier flunkern, dass du nach einer kürzeren Variante fragst, weil du nicht so viel Platz hast. 😉
Tipp 3:
Ergänze die Worte mit einem kleinen Icon, wenn dir dazu spontan ein Icon einfällt. Wenn nicht, dann lasse ein wenig Platz. Manchmal gibt es vielleicht nichts, dann bleibt es offen.
Merke: Wenn du kein Bild hast, hast du kein Bild.
Sonst schaust du während einer kleinen Pause in einer Bildersammlung nach. Im 3. Abschnitt habe ich dir dazu meine Lieblingslinks angefügt. Vielleicht lassen sich die Worte jeweils mit dem gleichen Icon kategorisieren, z.B. haben alle Ideen eine kleine Glühlampe, alle offenen Diskussionspunkte haben eine kleine Sprechblase, alle provokativen Aussagen haben ein dickes Ausrufezeichen oder einen Blitz.
Tipp 4: Füge Rahmen, Schatten und Farben hinzu, während die Teilnehmer noch überlegen, eine andere Aufgabe haben, oder in der Pause sind. Beschränke dich auf wenige Farben, die zu einem Farbcode gehören. Wichtiger als die Farben sind die Rahmen. Die Rahmen geben deinem Chart Struktur. Wenn du dich also für eine Sache von beiden Entscheiden müsstest, dann solltest du dich fürs Einrahmen entscheiden.
Tipp 5: Stelle deine Mitschrift noch einmal zusammenfassend vor. Erläutere den Farbcode. Frage nach Unklarheiten. Frage die Teilnehmer, ob ihnen ein konkretes Bild für einen Sachverhalt einfällt. Frage nach Ergänzungen, so dass es vielmehr das Chart der Gruppe ist, als dein Chart.
Zusammenfassung einer Kleingruppenarbeit.
Huch das nachfolgende Chart ist neulich einfach passiert, live im Seminar.
Das Chart ist für Außenstehende sicher nicht klar, denn hier ging es um ein Thema, das ich mit den Auszubildenden besprochen hatte. Ein immer wiederkehrendes Prüfungsthema. Die Bilder sind mir im Laufe der Zeit eingefallen. Diese Zeit war wahnsinnig lang, denn im nächsten Jahr sind es dann genau 20 JAHRE! Seit 20 Jahren erkläre ich das Thema mindestens einmal im Jahr intensiv. Irgendwann habe ich angefangen, es mir nett zu machen. Die Bilder haben sich nach und nach ergänzt. Neu und total spontan entstanden ist in diesem Jahr der Bus. Riesenlacher, aber am Ende hatten es alle verstanden. Ziel erreicht. Den Farbcode habe ich in der Mittagspause ergänzt, bevor ich das Chart als Lernposter im Raum aufgehängt habe.
Warum ich das nicht vorbereite? –> Wenn ich das Chart mit den Teilnehmern gestalte, hat es vielmehr Kraft. Ich lasse mir die Beispiele zurufen, und visualisiere sie auf dem Chart. Die Beispiele ähneln sich jedes Jahr. In diesem Jahr hat man mir zum ersten Mal den Bus als Werbeträger zugerufen.
die Teilnehmer scribbeln meistens selbst mit. Wenn das Chart dann später fertig an der Wand im Raum hängt, dann fotografieren sie es noch mal extra ab. Passt doch!
P.S. Auch ich muss mich in solchen Situationen immer wieder auf die Lesbarkeit besinnen. 🙂
zu 3.:
In paar Lieblingsliteraturtipps
Ich hoffe, dass ich dir mit diesen Ideen deine Bauchschmerzen ein wenig nehmen konnte.
Jetzt bin ich aber neugierig:
Was sind deine Tipps für solche Situationen?
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